MADAMADAM Judith Adam - Kostümbild

Portrait

Judith Adam Foto Moritz Haase

Judith Adam, Foto: Moritz Haase

 

Die Kostümbildnerin Judith Adam im Gespräch

 

Warum hast Du vor allem das Kostüm für Dich als künstlerisches Ausdrucksmittel im Theater entdeckt?

Grundsätzlich interessiert mich vor allem der Mensch mit seinen Eigenarten, seiner Tragik und Komik und all der Vielschichtigkeit, die das Leben für ihn bereithält. Und deswegen finde ich Kostüm einfach eine fantastische Kunstform. Man kann mit dem Kostüm Figuren eine Herkunft und einen Charakter geben, kann ihre Wesenszüge unterstützen, eine Entwicklung erzählen und Spannungsfelder zwischen den einzelnen Figuren herausarbeiten. Und weil mich vor allem die Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. Individuum und Masse interessiert, arbeite ich sehr gerne für Oper und Tanz. Anhand einer größeren Menge von Menschen auf der Bühne kann man dieses Spannungsfeld besonders gut erzählen.

 

Von außen betrachtet erscheint einem das Kostümbild einer Chor-Oper oder eines großen Tanzensembles immer eher als Herkulesaufgabe.

Ehrlich gesagt finde ich es viel herausfordernder, wenn ein einzelnes Kostüm alles leisten soll.  Was ich an der Arbeit für einen Chor zudem schätze, ist die Vielfalt der Menschen, ihrer Körper, die als Gruppe schon eine Gesellschaft abbilden. Ein Chor besteht aus alten und jungen Menschen, aus großen und kleinen, humorvollen und strengen, spielfreudigen und sachlichen Kolleg:innen. Dieses Spannungsfeld kann man im Kostüm erzählen. In der Oper liegt die Herausforderung häufig eher darin, dass aus nachvollziehbaren Gründen sehr lang vor Probenbeginn das Kostümbild stehen muss. Da kann man sich Aufführungen und Fotos der Chor-Mitglieder ansehen und auf der Basis ein Konzept entwickeln. Wenn der Chor dann auch noch wenig Probenzeit hat, wird er spielerisch nicht sehr in Erscheinung treten können und das Kostümbild bleibt eher ein Konzept im Raum.

 

Gibt es auch Gegenbeispiele?

Als ich für Don Giovanni in Darmstadt Kostüme gemacht habe, wollte ich ausschließlich aus dem Fundus arbeiten, auch um nachhaltige Arbeitsweisen zu erproben. Ich habe auf der Probe gesessen, den Gesprächen zwischen Dirigenten, Regisseur, Sängerinnen und Sängern zugehört und gesehen, wie sie es szenisch umsetzen. Und dann habe ich anhand dessen, wie ich die Szene verstehe, meine Vorschläge eingebracht. Ich konnte mehr experimentieren, Kostümteile auf der Probe ausprobieren. Das Kostümbild entstand viel spontaner als sonst in der Oper üblich.

 

Was bedeutete das für die Arbeit mit den Künstler:innen, die auf der Bühne stehen?

Es ist wichtig, den Menschen in der Anprobe wahrzunehmen und zu merken, was ihm auf der Bühne hilft - ist er zum Beispiel extrovertiert oder braucht er eher ein schützendes Kostüm? Denn wenn er sich nur einen Hauch schämt oder nicht einverstanden ist, wird es immer eine Lücke zwischen der Person und dem Kostüm geben und diese Lücke werden die Zuschauenden wahrnehmen.

 

Was ist die spezielle Herausforderung beim Tanz?

Das Kostüm tanzt immer mit. Es ist eine Art intimer Duett-Partner. Deswegen ist bei Choregraf:innen das Kostüm oft ein "Furchtfaktor". Ich verstehe das gut, weil wir den Körper überdecken. Aber man hat auch die Chance, mit Materialien Bewegung zu transportieren. Denn das Material reagiert auf den Bewegungsfluss, zum Beispiel vergrößert ein fliegender Mantel oder ein schwingender Rock Bewegungen. Man kann einer Figur mit einem Kostüm auch ein bisschen mehr Widerstand geben, gegen den sie ankämpfen muss, oder eine bestimmte Facette des Charakters unterstützen. Dazu entsteht im Tanz, vielleicht anders als bei der Oper, eine Art räumliche Struktur durch die Bewegung der Tänzer:innen, das kann man im Kostüm enorm unterstützen. Wenn etwa alle oberkörperfrei sind mit einer schwarzen Hose, habe ich eine ganz klare Teilung der Körper in oben und unten oder ein bestimmter Farbrhythmus sortiert sich durch die Choreografie immer neu zueinander im Raum. Diese Fragen interessieren mich sehr.

 

Du sagtest, das Material tanzt mit. Kannst Du genauer beschreiben, was Material für Dich bedeutet?

Farbe ist sehr viel stärker in der ersten Wahrnehmungsebene als Materialität. Die Zuschauenden sehen zuerst, ob ein Kostüm knallrot ist oder staubig grau. Deshalb hat die Materialität eines Kostüms die Chance, unterschwellig kleine Charakterzüge zu transportieren. Wenn zum Beispiel ein Material weich schwingt, erzähle ich darüber einen Teil des Charakters und diese Information wird unterbewusst Teil der Wahrnehmung. Mit Material kann ich Freiheit, Einengung, Weichheit oder Sprödigkeit eines Charakters erzählen, oder seinen Kampf mit der Außenwelt. Und unterschiedliche Materialien können dann wieder verschiedene Figuren auf der Bühne in Kontrast zueinander setzen. Das ist die fantastische Welt von Material.

 

Gerade im Tanz müssen die Kostüme aber auch sehr viel leisten, Bewegungsfreiheit, Strapazierfähigkeit und, und, und ...

Zudem braucht jede Art von Tanzsprache eine andere Form von Material. Da gibt es diesen Hauch von Nichts, der ein Wehen ins Ballett gibt. Und es gibt eine Form von oversized oder baggy, also sich langsam bewegendes Material, was eine bestimmte Form von zeitgenössischem Tanz braucht. Oder im Gegenteil eine Geradlinigkeit, also besondere Exaktheit, die eine enge Silhouette kreiert, damit man genau die Schärfe und Präzision der Bewegung siehst. Wegen dieser verschiedenen Möglichkeiten gibt es keinen Bereich von Tanz, der mich in der Zusammenarbeit nicht interessiert. 

 

Kann das Kostüm auch Bewegung vorgeben?

Ich habe mit Helena Waldmann an Encounters gearbeitet. Da gibt es eine Art Tango, den zwei Männer mit riesigen Pratzen tanzen, diesen Schlagpolstern aus dem Kampfsport. Sie tragen ein Schlagpolster so groß wie ihr Oberkörper und schnallen sich auch noch welche an die Beine. Sie können also fast nicht mehr laufen vor Protektionismus und dann entsteht dieser Tango zwischen ihnen. Das ist skulptural und beengend. Aber gleichzeitig wird die Fragilität des Körpers dadurch sichtbar, weil der Kontrast zwischen dem fragilen und lebendigen Körper und seiner Rüstung aus diesen starren Protektoren einen Dialog ergibt und die Einschränkung des Körpers in dem Fall den Tanz unterstützt.

 

Jetzt hätte ich gerne noch ein Bild für das gegenteilige Kostüm.

Ich finde, wenn Anna Karenina in der Salzburger Choreografie von Reginaldo Oliveira in einem wehenden Mantel aus einem Hauch von Nichts tanzt, ist das zwar nicht plastisch und fest oder beengend, aber dieser kleine Hauch Vergänglichkeit, der sich da im Raum bewegt, ist für mich eine andere Form von skulpturaler Arbeit.

 

Wie sieht für Dich der ideale Arbeitsprozess aus, um möglichst nah an Dein Wunschkostüm zu kommen?

Unsere Aufgabe als künstlerisches Leitungsteam ist es, eine komplette Welt zu kreieren, die die Betrachtenden als solche annehmen können. Ideal ist für mich, wenn das Team eine Arbeit beginnt und keiner weiß, wo die Reise hingeht. Jede:r hat das Stück gelesen oder anderes Material gesichtet und bringt Ideen mit. Wenn man an dem Punkt aufeinandertrifft, kann man konzeptionell in einen großen Dialog gehen: was will man erzählen und wie erreicht man das?  Wenn man in einem Team klar bespricht, welche Aufgaben die einzelnen Bausteine wie Text, Bewegung, Raum, Kostüm und Licht jeweils haben, dann erzeugt das einen spannungsvollen Bogen über den ganzen Abend. 

Dieses Arbeitsideal ist eng verbunden mit meinem Selbstverständnis: ich bin natürlich eine eigenständige Künstlerin, aber ich arbeite auch wahnsinnig gerne im Kollektiv. Das kann herausfordernd sein, weil man eine gemeinsame Sprache finden muss. Aber wenn es gelingt, ist es für mich der Gipfel des Glücks.

 

Die Fragen stellte Maren Zimmermann